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März – der Monat der Schuleinschreibungen

Für Familien, die im Alltag aufgrund einer Behinderung des Kindes eine höhere Herausforderung bewältigen, ist die Wahl der richtigen Schule sehr wichtig. Ein Interview mit der Mutter eines Schülers mit Autismus-Spektrum-Störung.

Erwachsene und Kinderhände halten einen Pflanzensetzling in einem Haufen Erde

Benötigt das Kind in der Schule einen erhöhten Unterstützungsbedarf, kann auch die Schulbegleitung eine Option sein, um den Schulalltag für die betreffenden Kinder und Eltern zu erleichtern.

So beschreibt es auch die Mutter eines Jungen mit einer Autismus Spektrum Störung (ASS).

"Für Kinder mit Autismus ist es immens wichtig den Stress herauszunehmen. Unsere tolle Schulbegleiterin hilft unserem Sohn den Kopf frei zu behalten für den Schulalltag und Spaß an der Schule zu haben."

Im Interview erzählt die Mutter des Schulkindes über ihre Hoffnungen, Ängste und der tollen Erfahrungen, die ihr Sohn und sie mit der Schulbegleiterin gemacht haben:

 

  • Welche Gedanken, Befürchtungen und Hoffnungen hatten Sie, als es um die Einschulung Ihres Kindes ging?

Die Schule bedeutete für mich Freude, weil er weiter lernen kann, und auch Angst, dass keine richtige Unterstützung für ihn da ist, weil seine Bedürfnisse gar nicht gesehen werden.

Unser Sohn ist sehr wissbegierig und lernt unheimlich gerne. Ich hatte daher die Hoffnung, dass er eine Schulumgebung findet, in der er sich wohlfühlen kann. Dann würde es ihm leicht fallen, für alle Themen offen zu sein, die in der Grundschule gelernt werden.

Er wird von Außenstehenden häufig überschätzt, denn er ist sehr gut im Anpassen, Maskieren, nennt man das. Es erweckt den Anschein, als sei er neurotypisch[IWA1]  (neurotypisch sind Menschen ohne ASS, Anm. d. A.). Wenn er sich so sehr anpasst, wird die Anpassung als Stress verinnerlicht. Die Angst war, dass er in eine Umgebung kommt, die ihn mit allen Schwierigkeiten, die er hat, nicht versteht. Dann hätte er permanent unter Stress gestanden. Veränderungen sind für Autisten generell schwierig. Eine neue Umgebung, neue Erwachsene, neue Kinder können für ihn eine enorme Stressquelle sein, weil es in seinem Kopf ganz anders arbeitet. Darum ist mir die Umgebung, die Schule und die Erwachsenen, die ihn unterstützen können, am wichtigsten gewesen.

  • Wie kamen Sie auf die Idee, dass eine Schulbegleitung hilfreich sein könnte?

Wir haben zuerst überlegt, ob die Förderschule oder die Regelschule das Richtige für ihn sind. Weil unser Sohn so wissbegierig ist, hat man uns an den Förderschulen angedeutet, dass er dort eventuell unterfordert wäre.

Wir hatten das Glück, dass wir dann an eine inklusive Schule gekommen sind. Dort ist das Thema der Schulbegleitung durch die Schulleitung ins Spiel gebracht worden. Denn eine Schulbegleitung hilft genau dabei, diesen Stress, den er hat, abzubauen und die Angst vor dem Neuen abzufangen. Die Schulbegleitung gibt ihm die Sicherheit, sich in einer Umgebung zu bewegen, in der alles neu ist. So wird der Stress relativ niedrig gehalten, damit überhaupt Kapazitäten im Kopf für das Lernen frei bleiben.

Die Schulbegleitung hilft aber auch bei praktischen Dingen. Zum Beispiel bei dem Erledigen von aufeinander folgenden Aufgaben, welches ihm Schwierigkeiten bereitet. Das kann alleine das Fachwechseln von Schulstunde zur Schulstunde oder das Wechseln der Klassenräume sein.

  • Wie lief der Prozess ab, der zu einer Schulbegleitung für Ihr Kind geführt hat?

Die erste Adresse, an die man sich wenden muss, ist das Jugendamt. Dort muss ein offizieller Antrag gestellt werden. Der Prozess ist sehr schwierig. Man hat das Gefühl, dass man für etwas kämpfen muss, dass einem behinderten Kind eigentlich laut Gesetz zusteht - Teilhabe. Dem Antrag habe ich alle erforderlichen Dokumente, Diagnosen und Berichte beigelegt. Ich habe versucht alles bestmöglich vorzubereiten. Das Warten und die Ungewissheit, ob mein Kind die nötige Unterstützung bekommt oder nicht, waren sehr zermürbend. Mir als Antragstellerin wurde nicht gesagt, bis wann der Antrag genehmigt wird, beziehungsweise ich eine Rückmeldung bekomme.

Als wir den Bescheid erhalten hatten, habe ich mich weiter an den Sozialarbeiter der Schule, der auch bei der gfi ist, gewandt. Er hatte mich bereits beim Antrag unterstützt. Von da an haben die gfi und das Jugendamt alles Weitere übernommen und die Schulbegleitung vorgeschlagen, die wir jetzt haben.

  • Nach nun mehr als einem halben Schuljahr, wie geht es Ihrem Sohn in der Schule?

Er hatte durch und mit der Schulbegleitung einen guten Schulstart. Ich hatte als Mutter total Angst gehabt, dass es ihn komplett zermürbt und überfordert. Schulanfang ist für alle Kinder was Großes. Doch für ihn ist es so viel schwieriger, als für andere Kinder. Das ist für Eltern von neurotypischen Kindern manchmal nicht nachzuvollziehen.

Mit seiner Schulbegleiterin hat er gelernt Spaß an der Schule zu haben. Das war eines der größten Ziele, die ich erreichen wollte: Dass er das Lernen in der Schule mit Spaß machen kann. Mit einer gewissen Leichtigkeit, die eben nicht gegeben ist, wenn der Kopf oder der Körper permanent unter Stress stehen.

Sein Schulstart war richtig erfolgreich. Es gibt schlimme Geschichten. Geschichten über Schwierigkeiten die richtige Schulbegleitung zu finden, oder diese überhaupt genehmigt zu bekommen. Ich bin sehr dankbar, dass es bei uns geklappt hat.

  • Welchen Eindruck haben Sie vom Schulbesuch mit Schulbegleitung?

Wir hätten keine bessere Schulbegleitung bekommen können. Mein Sohn und sie verstehen sich. Sie kann auf ihn eingehen. Sie haben sich in den letzten Monaten besser kennengelernt. Er wird dank der Schulbegleitung und dank der Lehrerin selbstbewusster und selbstständiger. Dass beide, die Lehrerin und die Schulbegleitung, wirklich dafür offen sind, was es bedeutet Autist zu sein, ist hervorragend.

Unsere Schulbegleitung ist absolut top, super ausgebildet. Sie bringt Techniken zur Stressbewältigung mit, erkennt an der Körpersprache, wenn es unserem Sohn schlecht geht. In dem Fall ist die eine Methode, das Klassenzimmer kurz zu verlassen und einfach den Stress zum Beispiel durch Bewegung wegzunehmen, damit er wieder Aufnahmefähig für den Unterrichtsstoff wird.

  • Das läuft bisher ganz gut. Können sie weiterhin zuversichtlich in die Zukunft schauen?

Die Schulbegleitung wurde für ein Jahr vom Jugendamt genehmigt. Jetzt müssen wir den Antrag erneut einreichen. Ich fühle mich wieder in der ungewissen Situation, dass ich nicht weiß, bis wann ich die Rückmeldung erhalte. Kinder mit Behinderung haben ein Recht auf Teilhabe laut UN-Behindertenrechtskonvention. Die Schulbegleitung ist genau dieses Instrument, welches das unserem Sohn ermöglicht. Trotzdem ist da dieses Gefühl, kämpfen zu müssen, obwohl die Teilhabe eigentlich gesetzlich geregelt ist.

Unser Alltag mit einem behinderten Kind ist so viel schwerer als mit einem neurotypischen Kind. Es ist so viel mehr, das außerhalb des Schullalltags erledigt werden muss. Begleitende Therapien zum Beispiel, das Organisieren des Familienalltags zu Hause.

Der Schulalltag von meinem Sohn wirkt sich massiv auf den Familienalltag aus, auf das zusammenleben mit seiner Schwester. Das ist alles um Einiges schwieriger und belastender, wenn der Tag in der Schule nicht gut war. Denn irgendwann muss der ganze Stress raus. Das passiert dann zuhause. Seine Ausgeglichenheit in der Schule ist für unseren Sohn und die gesamte Familie immens wichtig. Durch und mit der Schulbegleitung haben wir das im Großen und Ganzen erreicht. Bei uns läuft es nur deshalb gut, weil er die Unterstützung hat. Er braucht sie. Die Ungewissheit wegen der Bewilligung finde ich wieder sehr zermürbend.

  • Würden Sie mit Ihren jetzigen Erfahrungen im Rückblick bei der Schulwahl etwas anders machen?

Anders würde ich nichts machen. Ich fühle mich eigentlich, als hätten wir wirklich gut Glück gehabt, dass wir zu dem Ergebnis gekommen sind, wo wir jetzt sind und dass wir eine tolle Schulbegleitung haben. Aber es sollte eigentlich nicht Glück sein, wenn neurodivergente Kinder die Unterstützung bekommen, die sie benötigen. Wenn es eigentlich gesetzlich verankert ist, dass jedes Kind ein Recht auf Teilhabe hat.

Die Last sich Unterstützung zu holen und diese auch zu erhalten, liegt auf den Familien. Das ist bei einem erschwerten Alltag eine zusätzliche Belastung. Ich glaube, dass die Politik viel mehr machen muss. Es zeigt sich, dass es nicht ausreicht, nur ein Gesetz zu erlassen, wenn nicht die notwendigen Strukturen zur Verfügung gestellt werden und mit den notwendigen finanziellen Mitteln ausgestattet werden. Wie soll das sonst mit der Teilhabe vollumfänglich funktionieren, wenn die Strukturen nicht ausgebaut werden, die es den verschiedenen Ämtern noch besser ermöglichen diese Teilhabe zu gewährleisten?

  • Was würden Sie mit anderen Eltern in einer ähnlichen Situation teilen?

Durchhaltevermögen. Dieses Durchhaltevermögen und die Energie, die man sich im Alltag bewahren muss, sind das Wichtigste. Man kann es sich nicht erlauben aufzugeben und muss für die Kinder kämpfen. Ich kann nicht einfach sagen „Geht nicht mehr“. Irgendwie muss es weitergehen.